„…und gewisslich werde ich sie mit mir tragen, diese grausame Erinnerung, bis ich meinen letzten Atemzug tue und sie auch um meinetwillen kommen werden, wie schon bei Vater und Bruder zuvor. Noch immer höre ich, wenn ich schlafe, wenn ich wache, immer, die Stimmen, die jeder Menschlichkeit beraubt wie ein Donnergrollen in meinem Kopf wüteten, überall und nirgends zugleich, entsprungen der Einsamkeit des Waldes. Nach unserer Umkehr verlangten sie, ja, sie gewährten uns diese Wahl. Ihr Götter, was gäbe ich nur für jenen Augenblick, könnte ich doch ungeschehen machen, wozu Zorn und Bitterkeit meines Herzens mich trieben. Zweimal ward die Warnung gesprochen, doch mein blinder Eifer fegte sie hinfort.
Was meine Narretei heraufbeschwor, verbleibt einzig als Sturm aus Blut und Knochen in meinem Gedächtnis, untermalt von den leidvollen Schreien meiner Männer, jenem entsetzlichen Zeugnis der letzten ihrer Herzschläge. Wo zuvor nur das Zwielicht der Dämmerung sich zwischen die mächtigen Bäume und die wild gewachsenen Sträucher legte, kamen sie hervor und stürmten auf uns ein, wandelten zwischen unseren Reihen und vollführten ihren seltsamen Tanz. Hochgewachsene Gestalten, bedeckt von Gebein, das zwischen lumpigen Fetzen und Umhängen hervortrat, mit Häuptern, die von schrecklichen Knochenfratzen geziert wurden, trugen den Tod wieder und wieder in unsere Mitte. Vortrefflich führten diese Bestien ihre leichten Klingen zu raschen, wohl gezielten Schnitten und Stichen, bis nur noch ich auf meinen Beinen zu stehen vermochte. Und ich rannte.“
– Tagebucheintrag des Hauptmanns eines Morthumer Spähtrupps, zu Zeiten der Mytenkriege
Zahllose Legenden rankten sich einst um das Wesen der Hagatog, vergessen zumeist, verblasst im Angesicht des Jahrtausends, die seit der Rückkehr der Myten auf die Vulkaninsel vergangen sind.
In jene Tagen waren sie es, jene Streiter der Kabale, die in den Augen der Menschen das Bild des Mytenvolkes prägten, standen sie doch seit ihrem Hervorkommen stets an vorderster Front, wann immer das jüngste der Völker auf das älteste traf. So sprachen wilde Gerüchte von Dämonen, die sich ihre Wehr aus dem Gebein ihrer Opfer schufen, die sich gierig am Blut ihrer Feinde labten, nachdem sie in vollendeter Lautlosigkeit ihre Feinde aus dem Schatten heraus schlachteten. Nur wenige jedoch konnten jemals hinter die Fassade aus Knochen und Tod zu blicken, die die Hagatog der Kabale unter dem Nimbus der Grausamkeit verbarg.
Die Geschichte und das Werden der Hagatog
Es kam die Zeit, da die Myten die Einsamkeit der Vulkaninsel, die sie Racadvect nannten und die ihnen Heimat war, seit dem Anbeginn ihrer Existenz, hinter sich ließen und reisten in das Land, das die Menschen Falandrien nannten. Lange lebten sie unberührt in den Bergen, die sie sich zur neuen Zuflucht erwählten, und fristeten ihr Dasein verborgen vor den Augen der anderen Völker. Kablar jedoch, größter der Kruell und Führer der Kabale in diesen Tagen, im Einfluss der dunklen Mächte des Mondamulettes, wies sein Volk an auszuziehen und sich die Seelen der Verstorbenen anzueigenen. Seine Brüder wussten nicht um den Sinn seiner Bestimmung, doch sie folgten seiner Weisung ohne Widerspruch. So kam es, dass das Volk der Myten erstmals in Erscheinung trat in einer Welt, die beherrscht wurde von den Menschen. Zu Beginn nur eingeschüchtert beäugt und belassen als Boten des Gottes Morsan, bestimmt die Toten auf ihrem Weg in seine Hallen zu begleiten, ließ man die Myten gewähren, doch die Zeit wandelte sich. Lauter und zahlreicher wurden die Stimmen, die sich nicht den Streifzügen der Myten ergeben wollten. Die Menschen begannen sich der Kruell, welche die Seelen der Toten in gläserne Phiolen sperrten, zu erwehren. Sie gingen auf die Jagd nach den „Seelenfängern“ , richteten sie hin, ohne jede Gnade und Rücksicht.
Der weise Kablar erkannte, dass die Kabale sich schützen musste vor den Taten der Menschen, und studierte im Kreise seiner mächtigsten Kruell die Möglichkeiten der Verteidigung durch die Kraft ihrer Gedanken, ihrer Magie. Große Erkenntnisse wurden den Kruell in diesen Tagen gewahr, doch die Zahl derer, die das nötige Potential hatten, um auf ihrem Pfad zu wandeln, war gering. Es war jener geheißen Darnar, der Erste, der geschaffen ward durch das Ritual der Zeugung, der einen Ausweg erkannte aus der Hilflosigkeit der Kabale. Er, der einer der Katek war, einer der Handwerker der Gemeinschaft, und Phiolen schuf für die Zwecke der Kruell, erkannte die Möglichkeit, die sich den Magiern der Kabale verschloss:
Wie es in allen Völkern schon seit Urzeiten Brauch war, sollte auch die Kabale lernen sich durch Waffen aus Holz und Eisen zu verteidigen, anstatt sich einzig auf die Mächte der Kruell zu verlassen. Die Gemeinschaft ließ ihn gewähren, und so zog er aus, um sich das Wesen des Kampfes zu erlernen. Viele Völker, viele Gemeinschaften, suchte er auf in seinem Bestreben, und die Jahrzehnte seiner Reise flossen dahin. Nicht das Erlernen der Kenntnisse um das Führen einer Waffe war es, das die Tage seiner Reise hinzog, doch der Kampf gegen die Unzulänglichkeiten seines eigenen Leibes. Der Körper der Myten war kräftig, trotz seiner schlanken Erscheinung, doch bereitete die Regung ihrer Glieder stets große Mühe. Letztlich jedoch brachte die fortwährende Schulung seiner selbst den Katek stetig näher an sein Ziel, und so geschah es, dass er zurückkehrte in den Reihen der Seinen.
Kablar blieb der Erfolg seiner Reise nicht verborgen. Auf seine Weisung hin begann die Unterweisung der kräftigen, handwerklich begabten Myten durch den Erstgeschaffenen.
Gerüstet mit Waffen der Menschen und schlichten Kenntnissen des Kampfes, hieß man sie „Hagatog sran Kabale“ – Beschützer der Gemeinschaft.
Das Wesen und die Aufgaben der Hagatog
Mögen auch die Legenden um die Hagatog oftmals kaum mehr als Schauergeschichten gewesen sein, so enthielten sie doch seit jeher auch ein Körnchen Wahrheit.
So ist es zutreffend, dass, wenn man im Volke der Myten nach Kämpfern suchen wird, kundig im Umgang mit Schwert und Rüstung, ein solcher in einem Hagatog gefunden wird. Doch unterscheidet sich die Essenz ihrer Lehren, der „Stil“ ihres Kampfes, deutlich von dem eines aufrechten Kriegers der Menschen, suchen sie doch nur selten den offenen Kampf. So entspricht es dem Wesen der Beschützer der Myten aus dem Dunkeln zuzuschlagen, dem Auge verborgen, bis sie den Angriff wagen, wie es gar manche Geschichte berichtet.
Doch ist es letztlich mehr, was die Hagatog ausmacht.
Anders als die Krieger der Menschen und anderer Völker, streben die Hagatog nicht nach vagen Dingen wie Ehre und Ruhm. Auch liegt ihnen nichts am schnöden Mammon, denn Gold oder anderweitig materielles ist für sie grundlegend ohne Wert – es sei denn, dass es der Gemeinschaft ihres Volkes nutzt. Dies ist die wahre Essenz der Hagatog.
Wie es bei einem jeden des Mytenvolkes der Fall ist, liegt ihr Zweck im Dienst an der Kabale.
Sie beschützen sie vor Gefahren, verteidigen ihre Heimstätten und begleiten die Wehrlosen auf ihren Reisen, um jeden Schaden abzuwenden von ihnen. Die Selbstlosigkeit dieser Taten liegt nicht begründet im Ansehen, dass sie durch ihre Aufgaben in anderen Völkern erringen würden, sondern einzig in der Sicherung des Tagwerks und des Fortbestands der Kabale.
Die Aufgaben der Hagatog, zugewiesen durch die Bedürfnisse der Gemeinschaft, sind entsprechend vielfältig. Wenngleich sie einst geschaffen wurden als „Krieger“ der Kabale, um sich der Menschen und anderer Völker zu erwehren und die Kruell zu begleiten auf ihrer Suche nach Seelen, so wurde das Spektrum ihrer Zwecke schon bald größer. Jene, die sich vornehmlich im Kampf mit Speer und Bogen schulten, wurden die Jäger der Myten, zuständig für die Beschaffung von Fleisch und Fellen, und unterstützten schließlich die Abrichter, von den Myten selbst Came genannt, die sich zu späterer Zeit aus dem Zweig der Beschützer entwickelten. Andere spezialisierten sich auf das Vorgehen im Verborgenen, lautlos und unsichtbar dem Auge, als Späher bedacht auf die Erkundung der Umwelt. Wiederum gab es solche, die den ursprünglichen Hagatog nahe blieben, und sich stetig in der Kenntnis um die Möglichkeiten des Kampfes, der Taktik und der Anatomie bemühten. Als die Myten zurückkehrten in ihre alte Heimat, die Vulkaninsel Racadvect, waren es vornehmlich die „Jäger“, für welche die Gemeinschaft ob des Mangels an Feinden Verwendung hatte, wenn auch die anderen Strömungen innerhalb des Zweiges der Hagatog niemals völlig versiegten.
Die Lehren der Hagatog
Wie schon berichtet, ist allen Hagatog eines gemein: Die Fähigkeit zum Vorgehen aus dem Verborgenen. Mögen auch einige von ihnen sich in derartigem weiter erproben, als es andere tun, so teilen doch alle eine grundlegende Schulung in der Lautlosigkeit ihrer Bewegungen, den Taktiken eines Hinterhaltes und ähnlichem, welches zu ihrem Ruf beitrug und sie oftmals einem Attentäter ähnlich erschienen ließ. Wo ein Mensch vielleicht gar Kunstfertigkeit im Umgang mit dem Schwerte sucht und seine Fähigkeiten in beeindruckenden Streichen zur Schau stellt, wo Elfen sich dem Kampf in einem anmutigen Tanz der Klingen stellen, glänzen die Hagatog durch den fehlenden Tand ihrer Hiebe und die Schnörkellosigkeit ihrer Paraden.
Jemanden zu Fall zu bringen durch wenige und stets genau gezielte Attacken, dies ist ihr Bestreben – denn ihr machtvollster Verbündeter ist ein toter Gegner. So verwundert es nicht, dass die Klingen ihrer Waffen oftmals mit giftigen Mixturen versehen sind, die ihnen bei diesem Vorhaben gute Dienste leisten.
Der größte Feind eines Hagatog jedoch ist sein eigener Körper. In der Natur der Myten begründet liegt die Steifheit ihrer Glieder und die fehlende Gelenkigkeit, die einen erfolgreichen Kampf beträchtlich erschwert, wenn nicht gar unmöglich macht.
Dekaden ihrer Ausbildung verbringen sie vor allem damit, sich selbst über die Grenzen ihrer Körperlichkeit zu erheben und ihre Leiber an die schnellen, kraftvollen und präzisen Bewegungen, die der Nahkampf ihnen abverlangt, zu gewöhnen. Ein Hagatog, der die Zeit seiner „Jugend“ in etwa nach sechs bis sieben Jahrzehnten hinter sich gebracht hat, ist dadurch zu einer erheblich stärkeren Kontrolle seines eigenen Körpers, zu flüssigeren Bewegungsabläufen und einem allgemeinen Beweglichkeit fähig, die einem menschlichen Beobachter wesentlich „natürlicher“ erscheinen wird, als die seiner Brüder. Die Art ihrer körperlichen Überlegenheit unterscheidet sich jedoch ebenso vom einen zum anderen. So erscheinen einige Hagatog in ihren Bewegungen schon nahezu menschlich, während andere sich die meiste Zeit den ungeübten Myten ähnlich verhalten, doch im Kampfe schlagartig ihre gewonnene Geschicklichkeit beweisen.
Einem jungen Myten von der Vulkaninsel gänzlich unbekannt, doch in früheren Tagen, als die Myten noch auf dem Festland weilten, bereits genutzt, sind die Fähigkeiten der Myten sich selbst die Gefühle und Triebe ihrer Gegner zunutze zu machen. Wenngleich die Hagatog, wie so gut wie jeder Myte der Kabale, ohne jede Emotion ihr Dasein fristen und sich in Konfrontation mit derartigem vor allem mit Unverständnis zeigen werden, so ist es ihnen doch möglich zu lernen und zu studieren. Der machtvollste Verbündete des Hagatog ist dabei die Furcht seines Opfers. So mag er beobachten, wie Menschen im Angesichte wilder Schreie aus den Kehlen von Monstern ängstlich zusammenzucken und ihre Verstand vernebelt wird durch ihre Panik, und sich selbst bemühen derartiges hervorzurufen – auch wenn das Schreien ihm völlig fremd ist. Gewiss jedoch setzt dies eine Zeit der Erkenntnis und des Lernens voraus, zumeist im Verbund mit den gelehrten Kruell, und kaum ein Hagatog von einfacherem Gemüt wird in der Lage sein solche Zusammhänge zu verstehen.
Die Ausrüstung der Hagatog
Bekannt und berüchtigt wurden die Hagatog vor allem für ihre furchterregenden Rüstungen, die von den Katek aus den Knochen der Toten, ob Tier, Monster, Mensch, oder gar ihrer eigenen Brüder, geschaffen wurden. Bleiches Gebein, durch die Kräfte der Katek dem Träger angepasst, auf ledernem Grund, umhüllt die Krieger der Myten und lässt sie im unheiligen Schein des Untodes erstrahlen. „Morsans Panzer“ nannten die Menschen einst diese Wehr, die dem Hagatog einen größeren Schutz verlieh als gewöhnliche Lederrüstungen, doch zugleich leicht und frei war, so dass die Bewegungen nur in einem erträglichen Maße behindert wurden. Sie sind die bevorzugten Rüstungen eines jeden Myten, doch wird auch auf solche aus schlichtem Leder zurückgegriffen, so sich kein Panzer Morsans findet. Lediglich Rüstungen aus Metall, welcher Art auch immer, sind den Myten zumeist ohne Nutzen, mindern sie doch die Beweglichkeit zu sehr, als dass sie ihnen wirklichen Schutz bieten würden.
Ähnlich verhält es sich mit den Waffen. Wird ein Hagatog im Zweifel alles nutzen, was er findet, so verzichtet er jedoch nach Möglichkeit auf schwere, große Waffen, wie Zweihänder oder schwere Äxte und Streitkolben. Bevorzugt werden vor allem leichte, einhändige Schwerter, Speere und ähnliches. Übt sich ein Hagatog im Fernkampf, so wird zumeist ein Bogen verwendet, denn Armbrüste erscheinen ihnen zu unhandlich für ihren Gebrauch.
Die Kleidung der Hagatog richtet sich nach ihrer Vorgehensweise. Für den Gebrauch im Verborgenen wählen sie Farben, die in ihrer Umgebung vermehrt vorkommen. Schwarze Töne, wie auch grün und braun, sind aus diesem Grund verbreitet und finden sich in ihren Überhängen und Umhängen, die sie über den Knochenrüstungen tragen.
Die Vergabe der Ausrüstung an die Hagatog ist frei von Rang und Stand in der Gemeinschaft, doch werden knappe, und somit zumeist starke, Waffen und Rüstungen vornehmlich an die fähigsten Hagatog gegeben, die den größten Nutzen daraus ziehen können.
Die Hierarchie der Hagatog
Junge Myten, deren Eignung für den Pfad der Hagatog festgestellt wurde und die diesen Weg beginnen zu beschreiten, werden mit dem Titel eines „Koanii“ versehen. Sie sind die Schüler der Hagatog, die ihr Wissen um die Lehren erst noch erlangen müssen und unerfahren sind im Kampf. Unter der Aufsicht ihrer Lehrmeister verbringen sie den Großteil ihrer Zeit in Schulung und Übung ihrer Fähigkeiten, und erst in fortgeschrittenem Stadium ihrer Ausbildung werden sie an der Seite der Erfahrenen entsandt, um erste echte Aufgaben zu erfüllen. So befunden wurde, dass ein Koanii sich auf sein Handwerk versteht und fähig ist mit seinen Brüdern die Aufgaben ohne große Anleitung zu erfüllen, verliert er seinen Zusatz und wird fortan nur noch als „Hagatog sran Kabale“ benannt. Diese „gewöhnlichen“ Hagatog sind es, die dem Tagwerk in der Kabale nachgehen, jagen, erkunden und Wacht halten über die anderen. Ihre grundlegende Ausbildung ist abgeschlossen, doch streben sie auch abseits ihrer Pflichten beständig nach der Verbesserung ihrer Fähigkeiten.
Nur wenige gelangen jemals in den Rang eines „Halus“, eines Lehrmeisters der Kabale. Nur die Hagatog von klügerem Geist, die imstande sind zu führen, zu entscheiden und den anderen ihr Wissen zu vermitteln, werden mit diesem Rang bedacht. Sie sind verantwortlich für die Schulung und Anweisung der Hagatog und der Koanii.
Die Hagatog Halus wiederum werden ausgewählt durch ihren obersten, den Hagatog Vect.
Er, der im Wissen und in der Ausführung von Taktik und Kampf bewandert ist wie kein anderer, führt die Kämpfer der Gemeinschaft, überwacht die Lehre und prüft die Eignung der stärksten Hagatog zum Halus. An der Seite der beiden anderen Vect ist er einer der drei Obersten der Kabale.