Dies ist eine Geschichte, geschrieben von Harold Valorum, Johann Garland, Kya (Laske) und Nithavela (Jennaia)
1. Harold:
In der Bibliothek von Saalhornshof, der Residenz des Grafen Robaar von Saalhorn und Siebenwind im Norden Brandensteins, hat Johann so eben das Kaminfeuer entzündet und den Tee auf dem großen Eichenschreibtisch bereitgestellt. Würdevoll wie eh und je geht der Leibdiener hinüber zur Kemenate des Grafen, klopft an und berichtet leise, dass Tee bereitet ist und ein Bote soeben eine wichtige Depesche gebracht hat.
Als Graf Robaar sich in seinem Sessel niedergelassen hat, nochmals den Blick über die langen Reihen an Büchern und der schartigen, von vielen Händeln zeugenden Ritterrüstung schweifen lässt, öffnet er den gesiegelten Umschlag der Depesche. Kurz darauf lehnt er sich mit erbleichtem Gesicht zurück in den Sessel.
Geschrieben zu Burg Saalhorn,
am 21. Duler im 20. Jahr der Herrschaft Hilgorads
Ehrwürdiger Graf Robaar!
Meine untertänigsten Grüße entbiete ich Euch, Herr, jedoch bringe ich Euch ungute Kunde und bitte um Verzeihung, Euch in dieser Zeit derart schwere Lasten aufzubürden. Euer Bruder, der edle Todward von Saalhorn, seines Zeichens Herr auf Saalhorn und treuer Diener seines Lehnsherrn, ist auf dem Kriegszug in Khalandrien verschollen und wir müssen mit dem schlimmsten rechnen. Von seinem Banner kehrten nur der alte Frederich und Halfdan zurück, der Rest ward erschlagen. Sie berichten von einem schrecklichen Gemetzel und wie sie den hohen Herrn Todward zuletzt kämpfen sahen wie einen wilden Eber. Doch waren die Wilden zu stark, so das der Rückzug in wilde Flucht ausartete. Vom üblen Ausgang der Schlacht seid ihr gewiss im Bilde. Seitdem wart nichts mehr von eurem heldenhaften Bruder gehört.
Indes halten wir auf Saalhorn aus und ich führe Burg und Ländereien in Eures Bruders Namen. Wir leiden schwer unter den Kontributionen, die uns der werte Lehnsherr, der Graf von Ersont, auferlegt hat um den Kampf fortzuführen. Die Aussaat hat begonnen, doch fehlen uns die 41 Köpfe, welche mit eurem Bruder dem Ruf nach den Waffen folgten. Es steht nicht zum Besten mit Euren und Eures Bruders Ländereien.
Gewiss gilt Eure Sorge Euren Töchtern, Neffen und Nichten, gleichwohl wie Eures Bruders Gattin. Sie sind wohlauf und sicher, Eure Älteste weilt noch am gräflichen Hof in Ersonts Tal. Wir halten stets einige Pferde bereit, so der Feind die brüchige Wacht an der Grenze durchbricht und Ersonts Ebenen überfluten wird. Ihr habt mein Wort, dass ich mit allen noch verbliebenen, des Kampfes fähigen Männern Eure Familie und die Burg mit meinem Leben schützen werde.
Es betrübt mich, Euch so schreckliche Kunde überbringen zu müssen und wird beten alle, dass Euer geschätzter Bruder noch nicht in Morsans Hallen ruht, sondern sich womöglich irgendwo im Norden durch die Wälder schlägt und bald wieder zurück ist.
Einstweilen äußere ich die untertänigste Bitte um Euren Beistand auf Burg Saalhorn, da Euer Neffe noch zu jung an Jahren ist, um das Erbe seines Vaters antreten zu können. Diese schweren Zeiten verlangen nach Eurer Hilfe, hier im Norden.
Möge Bellum euch schützen und auch seine wachende Hand über den edlen Herrn Todward halten.
Es grüßt mit bester Hochachtung der Kastellan Eures werten Bruders,
Aelfrid Wildgaden
Das Pergamentblatt gleitet aus den Händen des Grafen und fällt zu Boden. Dieser erhebt sich, schiebt sich achtlos am Tisch vorbei und geht zu einem der Bücherregale. Dort nimmt er die korbgebundene Weinkaraffe heraus, schenkt sich ein Glas voll des schweren Brandensteiner Weines ein und geht zum Fenster hinüber, den Blick in den dämmrige Ferne des schwindenden Licht Felas gerichtet.
Die Nacht sollte kurz und unruhig werden, an Schlaf war nicht zu denken. Es war schon stockfinster, als der eilends ausgesandte Leibdiener zum Landsitz des Grafen zurückkam um zu berichten, was er beim Hafenmeister in Erfahrung gebracht hatte. Der Graf wusste, dass Johann mit der Beharrlichkeit eines steten Nordwindes – und so höflich wie nur möglich – den Hafenmeister aus dem Bett holen und ihn heißen würde, die Unterlagen nach bald ablegenden Schiffen durchzusehen. Freilich waren die Nachrichten wenig erfreulich: heute, denn die Zeit war bereits fortgeschritten und der neue Tag begann unmerklich in der finsteren mondlosen Nacht, würde die „Sturmmöwe“ mit der Flut im Achten Zyklus ausslaufen und Kurs auf Rothenbucht nehmen. Andere Schiffe würden in den nächsten 10 Tagen nach Venturia und Papin-Stadt auslaufen – mehr Zeit zum Packen, aber ein wochenlanger Umweg über die nunmehr unsicheren Straßen Galadons wären die Folge. Es musste also heute sein.
Johann war dies bewusst und wortlos verließ er mit einer tiefen, würdevollen Verbeugung den in der großen Halle weilenden Grafen, um sofort und unaufgefordert mit dem Packen des Reisegepäcks zu beginnen. Eine baldige Abreise verhieß nichts gutes und der Blick des sichtlich gealterten Grafen sprach eine eindeutige Sprache. Nach einer Weile – Johann wusste das es genau die Zeit war, die der Graf zur Brandensteiner Kapelle brauchte, dort sein Gebet verrichtete und zurückkehrte – trat Robaar in die Privatgemächer und sprach mit kontrollierter, emotionsloser Stimme: „Packt Reisekleidung und leichtes Gepäck. Die Dokumente aus dem verschlossenen Schrank in der Bibliothek nehme ich mit, alles andere verbleibt hier. Zu gegebener Zeit werde ich Nachricht senden. So gepackt ist, dürft ihr euch zurückziehen, Johann.“
Noch eine ganze Weile stand Graf Robaar allein auf dem nach Süden gerichteten Balkon des Landsitzes, der ohnehin mondlose Himmel war mit schweren Wolken verhangen, so das nichteinmal der hellste Stern durchzuscheinen vermochte. Gedanken durchzogen seinen Kopf, nicht wie Blitze oder das wilde Getümmel einer Schlacht, sondern wie ein öliger schwerfälliger Film oder zäher Brotteig. Wo war sein Platz in dieser Zeit? Es wäre seine Pflicht, seiner Insel in dieser Zeit beizustehen, in der ein Staatstreich im Gange war und das Reich taumelte wie ein Riese, dessen tönerne Füße zu zerbrechen begannen. Er müsste Brandenstein beistehen, dessen Rechte auf dem von ihm vor Jahren erlassenen Statut beruhten und die es zu schützen galt, notfalls mit dem Schwert, da man die Stadt zweifellos in Knechtschaft fremder Herrn übergeben wollte. Er müsste versuchen, ein Fels in diesem tosenden Meer zu sein und jenen festen Beistand zu geben, die von unbarmherzigen Wellen zerschmettert zu werden bedroht sind. Er müsste *Sie* beschützen. Für einen Moment wandte er den Kopf zu den links des Balkons gelegenen Fenstern, in deren Schwärze nichts zu erkennen war. Eine ganze Weile sah er dort hinüber und seine Augen schienen feucht zu werden. Der pfeifende Wind?
Die Augen schließend drehte er das Gesicht wieder in den Wind. War es denn nicht genauso seine Pflicht, seiner Familie beizustehen, seinem eigen Fleisch und Blut, die ihres Beschützers beraubt und von Gewalt und Verheerung bedroht war? Der Junge ist unmündig, die Mutter nur eine Frau, eine Dame sogar, der Kastellan von niederem Stand – ein unverteidigtes und damit vakantes Lehen in einer Zeit, in der die althergebrachten Gesetze und Traditionen nichts mehr galten. Und wenn der Graf von Ersont, der als Lehnsherr auch über den Vasallen Saalhorn gebot, ebenso zu den Aufrührern übergegangen war … welche Rolle spielte er in diesem Spiel? Und Katrina weilte noch immer am Hof eben jenes Grafen.
Was war zu tun. Pflicht. Pflicht. Pflicht. Nur welche wiegt schwerer. Welche Pflicht muss verraten werden. Verrat … war in den letzten Monaten und Wochen zur Regel geworden. Überall.
Der Morgen war kühl und nass, das Kreischen der Seemöwen übertönte den zarten Gesang der Vögel im Garten des Landsitzes Saalhornshof. Rund um das aus behauenen Granitstein errichtete Herrenhaus war ein Garten angelegt worden, mit Blumenbeeten und sorgsam getrimmtem Rasen sowie einer rosenberankten Laube, in der der Graf für gewöhnlich seinen Nachmittagstee einzunehmen pflegte. Umgeben war der Grundbesitz des Grafen von einer Hecke aus Rotbuche, die ab und an in Form gebracht wurde. Dieses Eckchen Land war ihm auf Grund eines königlichen Privileges übertragen worden, das er mit seiner Erhebung in den Adelsstand erhielt. Als Graf von Siebenwind stand ihm eigener Grund und Boden zu, wie das Patent vermerkte. Als er damals die Bürde des Lehnsherrenamtes der Insel abgelegt und die Burg verlassen hatte, erklärte er jenes an Brandenstein angrenzende Land zu eigen. Brandenstein, dem er damals weitreichende Rechte übertragen hatte, war ihm sehr ans Herz gewachsen. Seine Menschen, seine Geschichte, seine Landschaft.
„Wünschen Euer Gnaden noch einmal auszureiten?“ fragte Johann, als Graf Robaar die große Treppe in die Halle herabkam, sichtlich gezeichnet von Müdigkeit und verdrängtem Gram. „Ja. Sattle Rosinante. Ich habe noch einige Wege zu machen und werde spätestens zur Mitte des siebten Zyklus zurücksein. Lasst das Gepäck aufs Schiff schaffen und sorgt dafür, dass man frisches Fleisch für Fedraal lädt. Wenn ich zurückkomme, erwarte ich euch in der Bibliothek.“ erwiderte der Graf in brummigem, leicht gereiztem Ton.
Als die Strahlen Felas kräftiger wurden sah man den Grafen von Saalhornshof aufbrechen und langsam durch Brandenstein reiten. Zuerst hielt er an der Kapelle und betrat den schlichten Raum mit demutvoll geneigtem Haupt. Er hatte seinen Streit mit den Göttern gehabt, ab und an, auch mit ihren Dienern, guten wie weniger guten. Dennoch waren es die Götter, die dem Leben Form und Sinn gaben. Für einige Zeit verharrte er dort in stiller Andacht, ungestört von anderen Gläubigen, die bereits ihrem Tagwerk nachgingen.
Der nächste Weg führte ihn zu Herrn Hilamos, den er eine schwere Schatulle aus poliertem Eichenholz und einen Beutel voller Dukaten übergab. Er hatte Vorsorge getroffen. Johann würde als Verwalter des Landsitzes eingesetzt und erhielt Zugang zu den bei Herrn Hilamos verwahrten Guthaben, des gleichen galt für den Ritter Laske und die Dame Janniea Lavrial. Das Wort des Grafen allein hätte dafür genügt, aber die zweitausend Dukaten Entlohnung für Hilamos nahm eben jener dankend an. Einer der wenigen noch integeren Bewohner dieser Insel, dachte sich der Graf, als er die Schreibstube des Bank- und Lagerverwalters verließ und sich gen Rathaus wand. Der Magistrat der Stadt war noch nicht zu Gange, als Graf Robaar von Saalhorn und Siebenwind, ehemaliger Herr der Insel und Freund Brandensteins, einen Brief im Rathaus hinterlies.
Saalhornshof,
18. Trier 20 n.H.
Geschätzte Frau Hafenvogt,
entschuldigt das ich Euch nicht persönlich aufsuche, doch bleibt mir nurnoch wenig Zeit auf der Insel. Dringende Angelegenheiten rufen mich auf das Festland zurück und ich bezweifle, dass wir uns bald – wenn überhaupt – wiedersehen.
Seid Euch versichert, dass Brandenstein stets einen Platz in meinem Herzen hat, so wie die ganze Insel und ihre Bewohner dort ruhen. Ich wünsche Euch alle Kraft und den Mut, die Interessen unserer Stadt zu verteidigen. Haltet am Statut fest und zweifelt nicht daran: was durch mein Siegel bestätigt ist, wird nur durch mein Siegel aufgehoben. Wer oder was auch immer Euch vom Gegenteil zu überzeugen versucht, Ihr wisst es besser. Handelt so, als stünde das Statut in unangefochtener Gültigkeit. Auch wenn ich nichtmehr auf der Insel weile, sollt Ihr Euch meiner Unterstützung sicher sein.
Meinem treuen Leibdiener habe ich die Obacht über meinen Besitz übertragen. Er handelt in meinem Sinne, wenn er selbiges erklärt. Ich ersuche Euch, jenes so anzunehmen und ihm Unterstützung zu Teil werden zu lassen.
Gewiss hatten wir unseren Zwist und ich kann Euch nicht vergeben, was Euer Fehl gegenüber dem Orden der Ritterschaft und Einem dieses Ordens gewesen ist. Doch habe ich meinen Groll schon länger tief in meinem Herzen vergraben und Euch dafür respektiert, was Ihr Brandenstein habt gutes angedeihen lassen.
So geht denn in Frieden und mit dem Segen der Viere.
Hagen Robaar von Saalhorn und Siebenwind
Graf von Siebenwind
Der Tag würde noch lang werden und die Reise ihn noch weit über die Insel führen.
Die Nordseite des gewaltigen steinernen Walls lag noch tief im Schatten, als er durch den Schlachtenpass ritt und sich vor dem Grafen das weite Wald- und Wiesenland Greifenklipps ausbreitete. An dieser Stelle hatte man im großen Krieg den Feind zum Stehen gebracht und den Rest der Insel, die Brandensteiner Halbinsel, über ein Jahr lang verbissen verteidigt. Beinahe hätten schwere Beben und der Feuer und Lava speiende Schlot am Ort des alten Brockentals die Insel zerrissen, als nahe vor den letzten Verteidigungslinien dieser massive Bergrücken aus der Erde wuchs. Lange hatten daraufhin zwergische Bergleute einen Tunnel gegraben, durch den dann der Ausbruch gelang und die Wiedereroberung Siebenwinds eingeleitet wurde. Viele tapfere Kämpfer waren an diesem Tag gefallen und der Boden war rot vom Blut der Erschlagenen, übersäht mit den stinkenden Kadavern untoter und halb verwester Kreaturen und den zerschmetterten Knochen unzähliger Skelettkrieger. Den Teilnehmern der Schlacht zu Ehren wurde ein Schrein an der Stelle des größten Triumphes in der Geschichte Siebenwinds errichtet, als Mahnung für nachkommende Generationen und zum ewigen Angedenken der verblichenen Helden.
Der Graf führt das Pferd bei Seite und entzündete eine Kerze im Schrein. Für eine Weile blieb er auf der steinernen Bank sitzen und gedachte Gefallenen, sprach ein Bittgebet an Morsan und bat Bellum, stets mit jenen zu sein die die Schlacht gemeistert hatten. Ihre Zahl hatte in den letzten Jahren stetig abgenommen.
Robaar wandte sich nach Südwesten und durchquerte die Greifenklipper Wälder, bis er das Ufer erreichte und das Dorf Greifenklipp vor sich sah. Er würde nicht hinein reiten. Wenig war mehr übrig geblieben von den alten ehrenhaften Nortraven, von den Kurgas, Blakkurvalds, Eiswalds. Die nachgezogenen hatten sich niemals als Teil der Insel gesehen und Streit um des Streits willen gesucht. So lies er den Wassergraben rechter Hand liegen und ritt um das Dorf herum, um am Südwestende einen Blick auf die Jagdhütte zu werfen, die durch seinen Knappen vor Jahren errichtet worden war. An diesem Ort hatte er einige der schönsten Augenblicke auf der Insel verbracht, hier war er Mensch und nur Mensch. Noch ehe Wehmut in ihm aufsteigen konnte, kniff er die Augen zusammen und lies seine Züge wieder eisig einfrieren, als würde ein norländischer Wind plötzlich in ihn fahren und ihn mit der unerbittlichen Kälte wappnen, die man sonst nur im höchsten Norden findet. Bald würde er die kalten Winde des Nordens wieder auf Saalhorn spüren.
Über die Murmelrinnenbrücke hinweg führte ihn sein Weg weiter bis Falkensee, neuerstandene, stolze Hauptstadt der Insel, nun völlig beraubt jeglicher Wachen im Tor und in großer Unruhe und aufgeladener Spannung. Aufrecht und mit stolzen Blick ritt er hinein, geradewegs bis zum Tempel der Viere, mitten am Markt. Wie immer fand er ihn verlassen vor, während am Markt einige Gestalten lustlos die Zeit totschlugen oder ihre Rüstungen spazieren führten. Der Geruch war entsprechend.
Die Kühle der großen Tempelhalle war gerade zu einladend und die Stille vom draußen wallenden Trubel der Stadt war wie Balsam auf eine geschundene Wunde. Langsam ging er durch die Bankreihen, kniete vor dem Altar und trat mit gesenktem Haupt in den Schrein Morsans ein. In der Krypta angekommen trat er still am den Sakopharg Ritter Randur Kantrins heran. Graf Robaar, der Drachenritter und einstmalige Hochmeister des Drachen, der Großmeister der Ritter der Sieben Winde sah sie nun alle vor sich
… Sir Randur Kantrin …
… Sir Fedral Lavid …
… Sir Malika Nohadi …
… Sir Curio von Adoran …
… Sir Agranor Eahlstan …
… Sir Hegtor Garlon …
… Sir Jonathan von Sonnenhaar …
in ihrer schimmernden Wehr mit blankgeputzten Ordensschilden und ihren Gesichtern. Manche mit einem breiten lausbubenhaften Lächeln, manche mit ernst-nachdenklicher Miene, manche mit gepeinigtem und hilfesuchenden Flehen in den Augen, manches Antlitz aus dem unendliche Zufriedenheit sprach. Er war einer von Ihnen. Und sie würden für immer ein Teil von ihnen sein.
„Ruht wohl und in unendlichem Frieden, meine Freunde.“
Fela war nun hoch gestiegen und auf dem Markt herrschte reges Treiben, als Graf Robaar aus dem Tempel trat und die von Johann sorgsam gebürstete Fellmütze penibel genau auf dem Kopf ausrichtete. Ein schwerer Gang stand im noch bevor, doch vorher hatte er noch zwei Botengänge zu erledigen. So wichtig für ihn, dass er sie nicht Johann anvertrauen konnte, wie es sonst seine Art gewesen wäre. Am Königlichen Gericht, nahe des Westtores, gab er eine Botschaft für Freifrau Nhergas ab. Das Gericht aufgelöst, zusammen mit allem anderen auch. Mögen die Viere es fügen, dass der König noch am Leben und wenigstens sicher ist.
Saalhornshof,
18. Trier 20 n.H.
Ehrenwerte Freifrau Nhergas,
gern hätte ich Euch noch einmal persönlich gesprochen, doch ist meine dringende Abreise zum Festland hin erforderlich. Wisset, dass ich in Euch stets eine der treuesten und makellosesten Dienerinnen unseres Königs und des Königreiches gesehen habe und die Insel Euch großen Dank schuldet. Mögt Ihr die Kraft und Beharrlichkeit finden, diesem Angriff auf das Königreich zu widerstehen und irgendwann dem Königreich und der Insel selbst zum Sieg verhelfen.
Übergebt bitte die beiliegende Depesche an Vater Benion.
Mögen die Vier stets mit Euch sein und huldvoll Euer Tun begleiten.
Mit bester Hochachtung
Hagen Robaar von Saalhorn und Siebenwind
Graf von Siebenwind
Saalhornshof,
18. Trier 20 n.H.
Ehrwürdiger Vater Benion,
die knappe Zeit erlaubt mir leider keinen persönlichen Besuch mehr bei Euch, obgleich ich gern noch einige Worte mit Euch gewechselt hätte. Euer Glauben war stets eine Inspiration für mich und Euer Mut wird jedem Ritter gerecht. Geht weiter unbeirrt voran und gebt den Armen Hilfe, den Schwachen Schutz, den Wankelmütigen Stütze, den Verirrten einen Weg. Meine Gedanken sind bei Euch.
Der Viere Schutz und Beistand mit Euch, Ehrwürdiger Vater, Freund.
Hagen Robaar von Saalhorn und Siebenwind
Graf von Siebenwind
Vom Gericht aus lies er die treue Haflingerstute, die er wohl letztlich Johann zur Obhut anvertrauen würde, durch das Handwerks- und Quartierviertel gehen. Am Südtor angekommen durchquerte er das Vietel, wohl wissend das der gewaltbereite Mob, der die Armen des Viertels so arg drangsalierte und knechtete, bald in der Stadt sein Unwesen treiben würde, wenn nicht bald wieder Soldaten Tore und Stadt bewachten. Bald kam der Sumpf in Sicht, bald Südfall. Ritter Luthers Dörfchen war wir das Gemüt seines Herrn. Ruhig, ausgeglichen, durchunddurch freundlich und ein wenig verschlafen. Für einen Moment musste der alte Robaar grinsen bei dem Gedanken. ‚Soll die Gute noch ein wenig Ruhe finden, die Wiesen hier sind saftig‘ dachte er sich und lies das Tier ein wenig grasen, während er selbst für eine Weile auf einer Bank zubrachte und die friedliche Atmosphäre des Fleckens genoss.
2. Johann:
Zerrissene Nebelfetzen zogen über den Brandensteiner Hafen, wärend sich das Schiff unter dem steten, feinen Nieselregen vom Steg löste und in die Bucht hinausglitt. Als der Dunst schon die Konturen verschluckt hatte hallten immer noch die Rufe des Maates über das träge an die Mole schwappende Meer, ließ erahnen, dass auf dem Schiff nun, wo es dabei war, die Bucht zu verlassen, die volle Betaklung gesetzt wurde, um es im Bogen um die Insel herum nach Osten zu führen, wo irgendwo, weit jenseits des Horizontes, Falandrien lag. Einzig der alternde Diener des Grafen stand noch am Steg, das grau melierte Haar durchnässt, und blickte in das Gemisch aus grauem Regen und grauem Meer hinaus, in dem längst schon nichts mehr zu sehen war und von wo inzwischen auch keine anderen Geräusche mehr zu vernehmen waren als das das irgendwie gedämpft klingende Rauschen des Wassers. Nicht einmal ein Jahr hatte er im Dienst des Grafen gestanden und doch hatte er in dieser Zeit das Privileg gehabt, auch die weniger offensichtlichen Seiten dieses oft so mürrisch wirkenden Mannes kennen zu lernen. Seinen Stolz und sein Pflichtbewusstsein, seine Sorge um Siebenwind und besonders Brandenstein, die ihn auch nach seinem Rückzug ins Privatleben nie verlassen hatten, vor allem aber das treue und warme Herz, dass unter der schroffen Fassade schlug, und das zu finden sich so wenige die Mühe gemacht hatten.
Eigentlich war es Aufgabe eines Leibdieners, seinem Herren in jeder Lage beizustehen, und Johann bedauerte es tief, den Grafen nicht begleiten zu können. Doch die Burg Saalhorn hatte ein eigene Dienerschaft, die gewiss diese Aufgabe übernehmen würde, und die Güter und Besitztümer auf Siebenwind mussten verwaltet werden, um für die zu erhoffende Rückkehr bereit zu stehen… ob diese nun wenige Monde oder viele Jahre in der Zukunft liegen mochte. In tiefe Gedanken versunken, die sich aber wie stets nicht in dem würdevollen, fast schon steifen Gesichtsausdruck spiegelten, wandte sich der alternde Mann zuletzt wieder dem Gutshof zu. Schweigend wurde dort die bereits begonnene Arbeit vollendet, der größte Teil der Gebrauchsgegenstände und des Zierrats sorgfältig verpackt und die Möbel mit Tüchern abgedeckt, um vor Staub und Ausbleichen geschützt zu sein. Nur die Damengemächer, Bad und Salon ließ er aus, um der Dame Lavrial auch weiter eine Bleibe zu bieten, falls diese die jetzige Leere des Hauses ertragen konnte. Es war eine Schande, dass dieser prächtige Hof nie die Gelegenheit erhalten hatte, mit dem Leben gefüllt zu werden, für dass es vorgesehen worden war. Erst hatten sich die Bauarbeiten und die Einrichtung in Ermangelung von Handwerkern stark verzögert, und gerade jetzt, wo die Planungen langsam Gestalt angenommen hatten, die Kammern für das Personal bereit waren, die Küche sich mit Vorräten füllte und die Planungen für den Einweihungsball fast abgeschlossen waren, brachen die Unruhen über das Reich herein und der Graf wurde von seiner Familie benötigt.
Als Johann das Feuer im Kamin des Grafenzimmers mit der ihm eigenen peniblen Sorgfalt löschte, war das wie ein Symbol des Niedergangs. Seitdem der Kamin gemauert worden war, war das Feuer darin kein einziges mal ganz erloschen, immer war zumindest noch etwas Glut darin gewesen, bereit jederzeit wieder zu einem prächtigen Feuer angefacht zu werden. Nun lag der Kamin kalt und leblos da. Der Saalhornhof lag in tiefem Schlaf, träumend von der Hoffnung auf die Rückkehr des Grafen. Bedächtig kehrte der Diener in seine Kammer zurück, um sich dort etwas Tee aufzugießen. Solange es irgendwie in seiner Macht stand würde der Hof bereit sein, wenn dieser Moment gekommen war, bereit um endlich zu dem Leben zu erwachen, das diesmal noch im Keim erstickt worden war.
3. Laske:
Eilig stieg er die Stufen zu dem provisorischen Schlafsaal der Ritter hinauf. Nur einige Minuten hatte er, um ein paar Zeilen auf das Pergament zu bringen und sein Kopf war noch so voll von den Worten, die er eben vernommen hatte.
Eilig nahm er die Schreibmappe aus der einfachen Holzkiste unter seinem Bett und setzte sich auf den Bettrand. Das letzte Mal hatte er Tage gebraucht um einige Zeilen an sie zu schreiben – diesmal hatte er nicht einmal einen halben Zyklus. Er schüttelte leicht den Kopf und versuchte sich auf das Pergament vor sich zu konzentrieren. Einige Momente saß er ganz still, dann begann er zu schreiben.
Wertes Fräulein Herlinde,
ich hoffe mein letzter Brief hat euch erreicht. Bisher hatte ich noch nicht die Freude eure Antwort zu erhalten und ich hoffe euch geht es trotz der widrigen Umstände im Reich gut. Ich bin froh euren Vater nun wieder bei euch zu wissen, auch wenn er uns hier sehr fehlen wird. Ich weis dass es auch euch erleichtern wird ihn wieder bei euch zu haben. Unsere langen Gespräche handelten ja beinahe nur von ihm.
Ich hätte ihn gern begleitet und euch und eurer Familie in dieser Zeit beigestanden, doch mein Eid bindet mich an diese Insel und an meinen Orden. Ich weis dass ihr es verstehen werdet.
Die letzte Zeit war hier sehr turbulent und ich schaffe es leider nicht alles in so kurzer Zeit zu erzählen. Euer Vater will bald aufbrechen und ich will ihm diesen Brief zumindest noch mitgeben. In meinem nächsten Brief werde ich euch deutlich mehr erzählen können. Ich wollte nur eine Bitte an euch richten: Bitte versucht eurem Vater so gut es geht beizustehen. Gerade in dieser Zeit braucht er euch mehr den je.
Mögen die Viere stets mit euch sein und euch behüten,
euer treuer Freund,
Laske
Nachdenklich sah er auf die geschriebnen Zeilen. Es war nicht viel, aber mehr schaffte er in der kurzen Zeit nicht. Gerne hätte er ihr geschrieben wie es derzeit um ihn stand, welche Gedanken ihn bewegten und wie stark der Wunsch war mit dem Graf aufs Festland zu reisen. Er atmete tief durch und faltete das Pergament säuberlich. Der Eid band ihn, seine Aufgaben und auch dieser schreckliche Hut. Wie sollte er ihn auf dem Festland loswerden.
Er schüttelte langsam den Kopf und wandte sich zu Tür.
Er trat die Stufen runter und wieder einmal sickerte die bittere Erkenntnis in sein Bewusstsein – einmal mehr würde jemand die Insel verlassen, der ihm wichtig war, der mehr war als die andern. Der Graf war ihm nicht nur ein Lehrmeister gewesen, er war ihm mehr ein Vater als irgendjemand andres auf Tare. Er wünschte er würde ihn wiedersehen – aber in diesen Zeiten konnte man nie wissen. Er zog die Raute vor der Brust und richtete ein kurzes Gebot an die Viere, auf dass sie ihn schützen sollten. Dann erst trat er leise in den Raum zu ihm und dem Gardemeister.
4. Harold:
Eine ganze Weile lang genoss der Graf das warme Frühsommerwetter in Südfall, während die Bauern und Holzfäller des Fleckens zur Arbeit strebten und kleine Kinder durch die Gassen wetzten, halb spielend, halb Schweine hütend, halb den Eltern zur Hand gehend. Dieses Treiben kam ihm seltsam bekannt vor, erinnerte es ihn doch an das Leben im Dörfchen am Fuß der Burg Saalhorn. Ob es dort noch immer so zugehen würde? Er bezweifelte es.
Rosinante lies sich geduldig heranführen und bald war Robaar wieder auf dem Weg nach Falkensee, den wild wuchernden Wald und die Ostflanke der Scherenberge zurücklassend. Noch immer war das Südtor unbewacht, aber abgesehen von üblem Gestank machte nichts und niemand Anstalten, die Stadt zu betreten. Womöglich würden die meisten Bewohner des Südviertels schon ihrer Tagelöhnerarbeit nachgehen oder noch im Suff in einer schäbigen Hütte liegen. Er hätte früher eingreifen müssen, damals noch als Lehnsherr. Hätte die Hütten niederreißen lassen müssen. Die offenen Kloaken zuschütten, neue Behausungen errichten lassen müssen. Wohl hätte man den Bewohnern auch Arbeit in einem der Bergwerke oder auf den Feldern Südfalls geben können. Er hoffte in diesem Moment, dass die neuen Herren sorgsamer mit den Armen umgehen würden, als er es in der Zeit seiner Herrschaft tat.
Über die nun nur mäßig belebten Straßen gelangte er schließlich zur Burg. Finianswacht. Die stolze Burg der Ritter der Sieben Winde, benannt nach dem Gründer des Ordens und erstem Großmeister. Der ‚rote Ritter‘ wie man ihn auf Grund seiner tiefrot schimmernden Rüstung aus Drachenschuppen auch nannte. Ihm folgte der ‚grüne Ritter‘, Bran Mc Morn in seiner grün schimmernden Drachenrüstung, als Großmeister nach. Dann der hochgerühmte und untadeligste von allen, Dragonor Ragnarok. Nach diesem ward Talliostro Barnabas zum Großmeister ernannt und auf diesen folgte Koruun McKevin, der seines Zeichens in den Grafenstand erhoben wurde. Dann kam er selbst, Großmeister Robaar von Saalhorn, der Brummlige. In diesem Moment durchritt er das Haupttor der Burg, die vollkommen verlassen da lag und die Türöffnungen mit festem Holz verrammelt waren. Hier hatte er über Jahre über die Insel geherrscht, stets im besten Wollen für alle ihre Bewohner, was ihn freilich nicht vor Fehlern gefeiht machte. Manche Dinge bereute er, auch wenn er tief in seinem Herzen wusste, dass die Entscheidung die einzige war, die er hatte treffen können. Er sah das Bild Ritter Caeden Ecanas vor sich, wie dieser sich widersetze; und wie Caeden schließlich den Orden verließ und seinen Eid brach, um seinem Herzen zu folgen. An diesem Tag verlor der Graf nicht nur einen Ritter, sondern auch einen Freund. Hagen wurde von einer krächzende Krähe aus den Gedanken gerissen, als dieser schwarze Vogel von den Zinnen des Bergfrieds herabkam und auf dem Burghof mit viel Getöse landete.
Er trat durch die offene Tür in die große Halle der Burg. Sie war leer. An diesem Ort wurden Feste gefeiert und hier tagte der Inselrat. Die Vertretung aller Völker der Insel, ein Gremium geschaffen um die Insel zu regieren, das aber schon an der Unfähigkeit seiner Mitglieder scheiterte, regelmäßig und pünktlich an Sitzungen teilzunehmen. Nur einmal war er vollzählig, als man darüber befand, dass jedes Volk und jeder kleine versprengte Haufen sich einmauern dürfe, wenn er das wolle. In all den Jahren des Bestehens des Inselrates hatte es dieser nicht geschafft, die Straße von Brandenstein nach Falkensee zu pflastern; oder alle Völker an der Wacht am Grenzwall zu beteiligen; oder die Gemeinsamkeiten aller Völker herauszustellen und nicht in kleingeistige Zetereien zu verfallen, ob nun Dinge aus einem bestimmten Holz verkauft werden dürften oder nicht. Sich all dessen erinnernd wusste er es: Er war an der Aufgabe gescheitert die Insel wirklich zu einen. Und nun, da die letzte zusammenhaltende Klammer, die Herrschaft des Königreiches mit einem verantwortlichen Lehnsherrn fort war, würde die Insel in viele kleine Teile zerbrechen, die nurnoch ihr eigenes Wohl im Kopf hatten und dem Feind aus der Öde nichts Einiges mehr entgegen halten konnten. Dessen war er sich vollkommen sicher.
Als er wieder hinaustrat auf den Hof schritt er nochmals durch den kleinen Garten, ging auf den Laubengang zu und spürte die angenehme Kühle dieses Ortes. Hier war der Ort seiner glücklichsten Erinnerungen an die Burg, während im Inneren dieses massigen, trutzigen Gebäudes stets Pflicht und innerer Schmerz überwogen. Die Faust des Grafen verkrampfte, als das Bild des Großmeisters Aspin Schwertklinge vor sein inneres Auge trat. Dieser heldenhafte Ritter, der auf wundersame Weise wieder unter den Lebenden weilte, wie er darauf hoffte das Amt des Großmeisters an einen würdigen Ritter übertragen zu haben. Zorn kochte auf, als er weiter darüber nachsann, was dieser neue Großmeister alles fahren ließ und wie er Schritt um Schritt die Stellung des Ritterordens aufgab, so das dieser am Ende nurnoch in der Burg weilte oder auf Geheiß der Baronin etwas tat. Wahrlich, Ritter Siegfried Steiner hatte ein schweres Erbe angetreten und würde nun noch schwerere Zeit überstehen müssen.
Noch einmal sah Robaar sich um, Palasgebäude, Bergfried, Tafelrundenturm, Schildmauer, Torturm, Stallungen, Garten, Laubengang, Burgküche – all das war nurnoch eine leere Hülle. Man hatte den Rittern nicht nur ihr Lehen genommen, man hatte sie selbst aus ihrer angestammten Heimat verjagt. Sie mögen durch Pflicht zum Frieden und Gehorsam gebunden sein, wiewohl sie hätten Widerstand leisten können. Vielleicht hatten sie das auch. Er sollte nicht vorschnell mit seinem Urteil sein, er würde ihnen damit Unrecht tun. Gewiss aber war ihm eines: niemals würde er sein Eigentum auf Grund schnöder Forderung von außen aufgeben noch es sich nehmen lassen. Nicht, solange er noch ein Schwert halten und das Wort führen konnte. Saalhornshof wusste er in guten Händen, doch die Ländereien im fernen Ersonst waren schutzlos.
Im Trab sprengte die Haflingerstute davon und bog bald in Richtung des Magierturmes ab. So undurchsichtig die Magier auch sein mochten, standen sie jedoch stets auf Seiten des Königreiches und des Lehens. In seinen frühesten Erinnerungen an die Insel – noch vor dem großen Krieg – residierten die Magier in einem riesigen Turm östlich Tiefenbachs. Wie ein weißer Dorn ragte das Gebäude in den Himmel und war ein Hort der Gelehrsamkeit. Und gelegentlicher Explosionen oder anderer, unschöner Unfälle. Denn neben dem Ritterorden war der Magierturm eine der ältesten Institutionen der Insel. Einige der Magier waren hochfahrende Gelehrte, manche unheimlich wie der einäugige Elurai Calades, ein machtbewusster Magus und Leiter des Turms, der des öfteren in Streit mit Graf Robaar geraten war. Andere waren wie Toran Dur oder Sandor, vom Aussehen und Wesen her wohl eher untypisch für einen Magier, aber besonders verdienstvoll für die Insel und ihre Menschen. Wie oft hatte der alte Dur die Insel beschützt und vor Ärgernissen bewahrt? Was man von so manchen seiner (vielen) Spösslinge nicht behaupten kann, dachte sich Robaar als er die Depesche einem Novizen mit forsch-geblafftem Befehlston übergab.
Saalhornshof,
18. Trier 20 n.H.
Bester Toran,
gern hätte ich Euch zum Tee geladen und mit Euch bei einer guten Rauchkrauftpfeife noch ein Weilchen geplaudert, doch läuft mir die Zeit davon. Das Schiff, dass mich gen Festland bringt, läuft heute noch aus. Dennoch will ich es nicht versäumen, Euch nochmals Lebewohl zu sagen und Euch meinen Respekt zu zollen. Euer Wirken als Magus, wichtiger Vertreter des Turmes und Inselpatrizier Siebenwinds ist unvergessen und verdient hohen Ruhm.
Mögen die Viere stets mit Freude auf Euch herab sehen und Euch ein langes Leben schenken!
Mit bestem Gruß
Hagen Robaar von Saalhorn und Siebenwind
Graf von Siebenwind
Bergheim lag ruhig vor ihm, als er die beiden Torwachen passierte und jedwede Aufforderung, „das Langbein“ solle vom Pferd steigen, forsch-beharrlich zurückgewiesen hatte. Auf dem Platz vor dem Kontor der Händler&Handwerker der Dwarschim hatten die Zwerge Siebenwinds schon vor längerer Zeit eine gewaltige Zwergenstatue errichet, die allerdings weniger dicklich als üblich und alles in allem einem Menschen oder Nortraven ähnlicher war. Ein kurzes Grinsen erheiterte den Grafen für eine Weile. Dann stieg er ab, ging bedächtig durch die Gassen und besuchte den Bellum gewidmeten Schrein, der sich ganz oben auf einem Bergplateau befand. Es war eine seiner Eigenheiten, diese „Pilgerfahrt“ an all die Schreine und Tempel der Insel. Von den Schreinen Brandensteins, Falkensees, Seebergs und Bergheims bis zum Grenzwall, ja sogar hinaus zur Ruine der alten Kriegerakademie weit östlich des einstigen Rohehafens – all diese Schreine hatte er von Zeit zu Zeit besucht und den Göttern seine Gebete dargebracht. Im Gebet fand er stets die Ruhe und Zuversicht. Und so kam es, dass er eine ganze Stunde in diesem Schrein zubrachte, ehe er wieder herabstieg. Ein kurzer Besuch bei Dolana und ein kleiner Scherz mit der freundlichen Zwergenfrau beendete den Besuch. Dolana würde dem „Edelmann“ Hadhold Hammerhall die besten Grüße des Grafen Robaar übermitteln. Als der Graf das Tal der Zwerge verließ, war Fela schon wieder am sinken.
„Merden! Meldet Ritter Laske das ich ihn zu sprechen wünsche und dann kümmert euch um mein Pferd!“ blaffte Graf Robaar die Gardistin an, die in Seeberg Wache stand, so wie sie es schon viele Jahre in der Burg Finianswacht getan hatte. Mit dem Gleichmut den sie in all den Jahren erlernt hatte, verschwand sie in der Feste um den Befehl auszuführen. Manche Dinge … ändern sich nie. Sofort wurde Graf Robaar hineingebeten und Ritter Laske trat hinzu. Der vierte Knappe des ehemaligen Großmeisters und der jüngste an Jahren, gleichwohl derjenige der bereits zum Hochmeister des Falken erwählt worden war. Das Wiedersehen war herzlich, wurde aber alsbald durch die Nachrichten getrübt, die der alte Lehrmeister dem jungen Hochmeister überbrachte. Bei eine Tasse mit Honig gesüßtem Tee berichtete der Graf, in für seine Verhältnisse freundlichem und warmem Ton, von seiner geplanten Abreise gen Festland. Diese Nachricht musste Ritter Laske wie ein Faustschlag in die Magengrube getroffen haben, doch die Erziehung durch den Ritter, der nie lächelte, war deutlich zu spüren und so behielt Laske die Fassung. Gleichwohl es ihn sehr betrübte und er gern mitgereist wäre, gebot ihm sein Pflichtgefühl zu bleiben. Wahrlich, dachte der Graf, dass ist mein bester Schüler gewesen. Hagen berichtete vom Schicksal seine Bruders und den drohenden Gefahren für Ländereien und Familie – sofort fragte Laske nach dem Wohlbefinden Herlindes, Hagens jüngster Tochter. Hagen versuchte, den jungen Laske zu beruhigen, war sich aber selbst nicht wirklich sicher, dass es ihr gut ging, denn seit den letzten Nachrichten mussten mindestens 6 Wochen vergangen sein.
Der junge Hund, jetzt zu einem wilden tollenden kräftigen Jagdhund herangewachsen, war einst ein Geschenk des Knappen Laske gewesen. Wenig standesgemäß rief der Graf ihn also Laaske, auch wenn er in gegenwart von Fremden darauf verzichtete. Es bedurfte keiner Überredungskunst und der Namenspate des Hundes nahm das Tier in seine Obhut.
Nachdem sie eine Weile gesprochen hatten, füllte sich plötzlich die Küche in Seeberg mit Leben und immer mehr Bedienstete wuselten umher, auch der Gardemeister Gropp trat hinzu. So zog man sich ins Obergeschoss zurück und Ritter Laske bat darum, noch ein paar Zeilen an Herlinde schreiben zu dürfen. Mit dem Gardemeister führte der Graf ein ernstes Gespräch, erinnerte ihn an die Pflicht gegenüber Krone und Ritterschaft. Er nahm ihm das Versprechen ab, sich um den Schutz von Saalhornshof und seiner Bewohner zu kümmern – mit seinem Leben für die Unversehrtheit der Dame Lavrial zu sorgen. Natürlich willigte der Gardemeister ein.
Als Ritter Laske zurückkehrte wurde es Zeit, nach Brandenstein zurückzukehren. Hagen nahm den Brief an seine jüngste Tochter entgegen, übergab dem Ritter jeweils eine gesiegelte Depesche für den Großmeister Steiner und eine für die Frau Baron von Harpenstein.
Saalhornshof,
18. Trier 20 n.H.
Ehre dem Orden, Großmeister Steiner,
wie Euch Sir Laske bereits mitgeteilt hat, breche ich am Abend des 18. Trier gen Festland auf und bedauere zutiefst, Euch nicht eher habe sehen und sprechen können. In Euren Händen weis ich das Schicksal der Ritter der Sieben Winde wohl gebettet und bin mir sicher, dass Ihr den Willen des Königs gegen jeden Widerstand durchsetzen und stets für den Schutz der Schwachen einstehen werdet. Haltet fest an Eid und Tradition der Ritterschaft!
Lieber Siegfried, du wirst mir fehlen, so wie mir die allermeisten anderen Ritter fehlen werden. Wir sind in eine Zeit geraten, die von uns schwere Opfer verlangt und uns den richtigen Weg nicht gleich eröffnet. Umso wichtiger ist es, die Moral hoch zu halten und das Band der Freudschaft zu erhalten, dass die Ritter untereinander verbindet. Wenn dieses Band stark ist, kann nichts und niemand euch überwinden. Kein Feind aus der Öde. Kein Feind aus den vermeintlich eigenen Reihen. Keine machthungrigen Fürsten, die sich wie Hyänen über das fallende Großreich hermachen. Keine falschen Anschuldigungen. Niemals habe ich an deinem Glauben gezweifelt und halte jedweden Anwurf der Ketzerei gegen dich für unwahr. Wiewohl du weißt, dass ich so manche deiner Tat nicht gutheißen kann und sie eines Ritters für nicht würdig erachtet habe. Ich hoffe, du wirst nicht wieder fehl gehen. Doch schaue ich in mein Herz, so bin ich sicher, dass du meine Hoffnung nicht enttäuschen wirst.
Ich bitte dich, meinen Verwalter Johann Galarand zu unterstützen und ihm alle notwendige Hilfe zu gewähren. Besonders aber erbitte ich den Schutz der Ritterschaft für das Fräulein Lavrial, für die mein Herz voller Sorge ist, sobald ich mein Schiff betreten habe. Ich kann sie nicht mitnehmen auf diese ungewisse Reise, noch sie unbesorgt hier lassen. Ich bitte dich, von Freund zu Freund.
Bestelle den Rittern der drei Orden meine Grüße und sag dem Hochgeweihten Herand, ich bitte das er für mich und den König betet, so wie ich ihn in meine Gebete einschließen will.
Nun aber lass uns wie Ritter scheiden: Ehre der Krone, Großmeister Steiner!
Hagen Robaar von Saalhorn und Siebenwind
Graf von Siebenwind
Ein Freund.
Saalhornshof,
18. Trier 20 n.H.
Ehre der Krone, Euer Gnaden!
Erlaubt mir Euch meiner vorzüglichen Hochachtung zu versichern und Euch mein Bedauern auszudrücken, dass meine Zeit nicht mehr ausreicht, Euch eine Audienz zu gewähren und mich in persona zu verabschieden. Mich rufen dringende Angelegenheiten aufs Festland zurück.
Wollt Ihr Euch bitte meines Schreibens von vor einigen Monaten erinnern, in dem ich Euch anempfohlen habe, zwei Personen die sich ohne Zweifel um das Wohl der Insel verdient gemacht haben, in den Adelsstand zu erheben. Zum einen der Obmann der Zwerge, Hadhold Hammerhall, der stets ein ehrbarer Verbündeter gewesen ist. Zum anderen Exzellenz Sandor, seines Zeichens Magier und langjähriger Richter im Dienst um Krone und Insel. Beide haben sich dieses Stand wohl verdient.
Meine Angelegenheiten, sofern sie mein Eigentum und meinen Grund und Boden in Brandenstein betreffen, habe ich in die Hände meines treuen Verwalters Herrn Galarand gelegt. Ihr wollt dies zur Kenntnis nehmen und seine Erklärungen entsprechend den meinen werten. Er steht unter meinem persönlichen Schutz, ebenso wie die Dame Janniea Lavrial, und ist damit der gemeinen Gerichtsbarkeit entzogen. Als Vertreterin der Krone obliegt es mithin Euch, auf die Achtung jener Tatsachen zu drängen und diese zu schützen. Seid Euch meines Dankes versichert.
Es ist meine Hoffnung, dass Ihr alsbald wieder das Heft in die Hand nehmen mögt und dieser Gefahr für das Reich bald entgegenschreiten werdet, die durch diesen Aufstand der Fürsten entstanden ist. Bedenkt die Prophezeihung für die Insel und die große Gefahr, die jenseits des Walles lauert, bereit jedwede Uneinigkeit und Schwäche der Bewohner Siebenwinds zu nutzen. Vergebt mir die Direktheit, doch würde es Euer Name sein, der auf ewig mit der Scham einhergehen würde, die Insel an die Schergen des Einen verloren zu haben.
Mein Weg wird mich auch nach Draconis führen und ich hoffe, zum König vordringen zu können um mich von seinem Wohlsein zu überzeugen. Hierrüber werde ich Euch baldmöglichst berichten.
So verbleibe ich mit dem Segen der Vier für Euer Gnaden und den König
Hagen Robaar von Saalhorn und Siebenwind
Graf von Siebenwind
Als Fela langsam hinter Brandenstein unterging, trat der Graf in Begleitung des Ritters und des Gardemeisters nach draußen. Es begann schon wieder kühl zu werden, denn auch wenn Fela am Tage schon viel Kraft hatte, so waren die Nächte doch noch kalt und zuweilen gab es zu dieser Zeit auch noch Frost. Die Abendstunden waren auch die Zeit, wo langsam Ruhe einzukehren begann und die meisten braven Leute vom Tagwerk nach Hause kamen um sich noch etwas Ruhe zu gönnen, ehe finstere Nacht wieder alles einhüllte. Hagen Robaar sah nun zurück auf die beiden Männer. Der eine hätte sein Sohn sein können, den anderen würde er nur ungern in der Verwandtschaft haben und allein der Gedanke, er würde den Vater des Gardemeisters finden und ihn auf die Insel senden, wie Gropp es wünschte, lies ihn erschaudern. Feuer und kalter Stahl. Mindestens. Der Augenblick war da und Abschiede waren Robaar stets unangenehm, denn hier lief er am ehesten Gefahr, von Gefühlen heimgesucht zu werden. So blickte er umso entschlossener, missmutiger und ungerührter drein, als er den Gardemeister ansah und sich mit einem knappen „Gardemeister.“ gefolgt von einem präzisen professionellen Nicken verabschiedete. Nun wandte er sich dem jungen Ritter zu um sich auf gleiche Art zu verabschieden. An diesem Tage brach der feste robaarsche Wall und der Graf trat einen Schritt vor und umarmte den Ritter mit einer solchen Herzenswärme, wie ein Vater der sich von seinem Sohn verabschiedet. „Machs gut, Junge.“ sprach Robaar mit fester Stimme, die allerdings Gefühle durchschimmern lies. Vermutlich war Ritter Laske zuerst überrascht, denn obwohl er Hagen durchaus kannte, war selbst für ihn solches Verhalten höchst ungewöhnlich. Der Graf vernahm die Erwiederung nicht mehr, denn er trat zurück, wandte sich zu seinem Pferd um und rief nur noch ein kurzes „Lebtwohl!“ nach hinten. Einmal noch sah er zu den beiden Männern zurück, zu einem der treuesten Weggefährten und einem Sohn, den er nie gehabt hatte, aber gern gehabt haben würde.
Ehe noch irgendwer die feuchten Augen des Grafen in der Dämmerung sehen konnte, war dieser schon gen Westen aus Seeberg hinausgeritten und hielt auf Brandenstein zu.
Johann war vollauf damit beschäftigt, den Landsitz auf die Abreise des Hausherrn vorzubereiten. Zwar würde das Haus weiter bewohnt bleiben, doch manche Räume würden auf absehbare Zeit ungenutzt in einem Dämmerschlaf verharren, mit der mehr als vagen Hoffnung, dass dereinst der Graf zurückkehren würde. Ein letztes Mal umrundete Robaar das Haus, warf den Hunden einige frische Stücke Wildfleisch zu. Im Stall stand das schwere Schlachtross des einstmaligen Drachen einträchtig neben der kleingewachsenen Haflingerstute, die Graf Robaar über all die Jahre treu über die Insel getragen hatte. Er würde das gutmütige Tier vermissen, soviel wahr klar. Allerdings würde Johann den Tieren die selbe Aufmerksamkeit zukommen lassen, wie er sich auch gegenüber dem Grafen an den Tag legte – diese Erkenntnis lies den Abschied leichter werden.
Im Haus zurück betrat Graf Robaar die Bibliothek, die aufgeräumt war, aber nicht wie die anderen Räume auf Abwesenheit vorbereitet wurde. Nachdem er am Tisch platzgenommen hatte hob er die Handglocke, ein silbrig klingendes Schellen durchdrang das Haus und wenig später stand Johann in der Tür. „Es bleibt noch Zeit für eine Tasse Tee, Johann“ meinte der Graf, während er noch Dokumente auf dem Tisch ordnete. „Wünschen euer Gnaden auch Gebäck dazu?“ fragte Johann, der sich keinerlei Gemütsregung anmerken lies. Auf ein knappes Ja des Grafen entfernte er sich durch die hintere Tür und nahm die Bedienstetentreppe in die Gesindeküche. Als Johann den Tee bereitete, ging Robaar hinüber zum Kamin, einen Stoß Pergament- und Hadernblätter in der Hand. Nach und nach übergab er die Schriftstücke dem Kaminfeuer, das sie begierig auffraß und nurnoch die verkohlten ungenießbaren Überreste zurücklies. ‚Kein Grund die in falsche Hände fallen zu lassen‘ dachte Hagen. Einen Teil der Dokumente hatte er in einer Truhe verpackt, welche nun auf dem Schiff verladen war. Die Masse der beschriebenen Pergamente blieb in der Bibliothek zurück und wieder andere übergab er nach und nach dem Feuer.
Als Johann eintrat, lies der Graf den Rest achtlos ins Feuer fallen, ging zum schweren Eichenholzschreibtisch und lies sich im Sessel nieder. Haltung. Bis zum Schluss. „Danke Johann. Setzt euch.“ sprach er und deutete auf den anderen Sessel, der vor dem Tisch gerade so gedreht stand, dass der Sitzende dem Grafen das Dreiviertelprofil zuwenden musste. Offensichtlich hatte Johann diese Aufforderung unvorbereitet getroffen und er zögerte einen Augenblick, setzt sich dann aber hin. Der Graf trank seinen Tee mit Würde, ganz so als würde er das nicht in seiner Bibliothek, sondern in Gegenwart des Königs tun. Dann begann er: „Ich habe beschlossen, Euch zu meinem Verwalter zu ernennen, Johann. Ihr werdet meine Ländereien, das Gutshaus und meinen Besitz auf der Insel verwalten, bis ich euch Nachricht zukommen lasse, was damit zu geschehen hat. Dieses Patent wird meinen Willen gegenüber Jedermann bestätigen.“ Damit übergab er dem Alten ein Pergament, dass genau die Rechte und Aufgaben regelte – Johann würde im Namen des Grafen handeln, würde über das Guthaben des Grafen verfügen können welches derzeit von Hilamos verwahrt wurde, würde zusammen mit der Dame Lavrial unter dem Schutz des Grafen stehen und damit jeglicher Rechtsprechung auf der Insel entzogen sein. Das Dokument trug das schwere rote Wachssiegel, welche einen auf einem Kliff über einem Fluss thronenden Turm zeigte. Johann bedankte sich für das Vertrauen. „Nundenn, es wird Zeit.“ meinte der Graf, der noch in Ruhe seinen Tee trank; Johann aber, den Kommentar verstehend, erhob sich und begab sich nach unten, um das Pferd zu satteln und auf die Abreise des Grafen zu warten.
Nachdem Hagen die Kerzen in der Bibliothek gelöscht hatte, ging er hinüber in seine Kemenate und zog den Mantel über, sorgsam bedacht einen ordentlichen Eindruck zu machen, wenn er nachher das Schiff betreten würde. Etwas war noch zu tun. Noch ein schwerer Gang zu machen. Leise trat er durch die Tür seiner Räumlichkeiten in den kleinen wohnlichen Zwischenraum, der hinaus in den Rest des Hauses, aber auch zu den südlichen Wohnräumen führte. Ohne Lärm ging er hinüber und lugte durch die Tür. Eine Weile stand er da. Minuten. Stunden. Tage, Wochen, Monate, Jahre … ein ganzes Menschenleben passte in diesen Augenblick. Sacht legte er das gefaltete Pergament auf die Oberdecke des Bettes. Auf dem Pergament stand außen „An meine Liebe“ geschrieben.
Wenn sie es lesen würde, würde sie viele Male des Rastens der Feder, viele Male des durchstreichen und neu beginnens finden, Versuche etwas zu erklären, zu beruhigen, etwas verständlich zu machen … etwas zu sagen was er fühlte aber niemals in Worte zu fassen vermochte. Und am Ende würde sie die Worte lesen: „Ich liebe Dich – selbst wenn Meere oder viele Spähren zwischen uns liegen.“
Die Nacht war hereingebrochen und der Wind wehte aus Westen, durchfuhr die nahen Bäume und lies sie rauschen, wie ein Gewirr aus einer Vielzahl Stimmen. Regen hatte eingesetzt. Hier würde nun die Reise ihren Ausgang nehmen, die hier – auf den Stufen Saalhornshofs – begann und weiter über das Meer nach Rothenbucht, dann über die Reichsstraßen nach Draconis bis in den Norden, nach Ersonts Tal und weiter zur Burg Saalhorn führen würde. Viele Meilen, sicherlich sechs- wenn nicht gar acht Wochen Reisezeit. Ein letzter Blick zurück, auf den dunkel und friedlich daliegenden Landsitz. Ein allerletzter Blick. Die Stute setzte sich in Bewegung und sie kamen schnell voran durch die leeren Gassen. Johann wich nicht von der Seite des Grafen, bis sie über den Markt und am Hafenkontor vorbei, den Pier Brandensteins erreichten. Das Schiff, der stolze Zweimaster Sturmmöwe, war schlank und wohl nach nortravischen Plänen gebaut, um schnell über die Wellen segeln zu können. Ganz im Gegensatz zu den Schiffen, wie man sie im Mittelreich baute … den schweren, dickbäuchigen Frachtschiffen, die nicht umsonst den Namen „Lastesel der Meere“ trugen. Geschäftiges Treiben herrschte an Deck, welches von Fackeln und Laternen erleuchtet war. Bald würde die Flut hoch genug stehen um auslaufen zu können.
Johann half dem alten Drachen noch ein letzte Mal vom Pferd und neigte tief, mit großer natürlicher Würde den Kopf. Der Zeitpunkt des Abschieds war gekommen. Noch ein letztes Mal strich Robaar der treuen Stute durch die Mähne, klopfte ihr liebevoll auf die Halsflanke und gab ihr noch ein Möhrenstück. Dann sah er hinauf zum Schiff, flüchtig über die Stiege, die er gleich betreten würde. Zu Johann gewand sprach Graf Robaar: „Ich hatte nie einen treueren Diener als euch, Johann. Habt Dank dafür. Lebt wohl und die Götter mit euch!“. Dann streckte er die rechte Hand nach vorn, wieder zögerte Johann eine Weile, bis er sie schließlich doch ergriff und den Handschlag zum Abschied besiegelte. Robaar schnarrte forsch wie eh und je „Fedraal! Bei Fuss!“ und der große schwarz-zottlige Wolfshund erhob sich und folgte seinem Herrn, als dieser die Stiege zum Deck hinauf stieg. Kurz bevor er das Deck erreicht hatte, blieb Graf Hagen Robaar von Saalhorn und Siebenwind noch einmal für einen Augenblick stehen.
Erinnerungen fluteten seinen Geist, wie eine riesige Woge die herrüberschwappt oder der Duft eines frisch gebackenen Kuchens in dem Augenblick, in dem die Ofenklappe geöffnet wurde.
…
… Athos, Stephan Weidenbach, Koruun McKevin, Siegfried Steiner, Ovelia Galthana, Luther Dueff, Laske, Arlon Windtanz, Amaris Aurinas, Auron Ruodrik, Fedral Lavid, Randur Kantrin, Talliostro Barnabas, Bran McMorn, Dragonor Ragnarok, Curio, Aldones Del’Arell, Arent Cildorn, Caeden Ecanas, Agranor Eahlstan, Hegtor Garlon, Laurec Llewellyen, Lorence, Roarwyn McManley, Malika Nohadi, Jonathan von Sonnenhaar, Leonard von Wolfenbach, Mirian Lasar, Aspin Schwertklinge. Ritter der Sieben Winde. …
… Die letzte Schlacht am Feuerberg, die der Insel die Freiheit zurückgab. …
… Benions Rettung vor der Inquisition durch ein entschiedenes, bindendes Wort. …
… Der vermisste König und seine wundersame Rettung. Gerdenwalds Verrat. …
… Die Gefangenschaft des Grafen in den Händen der Orken und die Rettung durch die Dunklen Paladine. Ehre und Würde unter Feinden. …
… Das brennende Armenviertel Falkensees. …
… Der Streit mit der Kirche der Vier und die Gefahr des Bürgerkrieges. Tzara Rengis. …
… Schwarze Reiter, die sich Ritter nannten und auf dem Schafott endeten. …
… Althea Danae, der Brandensteiner Ball und dieser Junge, Zacharias Cana. …
… Der erste Grundstein in Falkensee und die Errichtung der Burg Finianswacht. …
… Gurkenrobaars. …
… Greifenklipps Jagdhütte und die schönsten Stunden, die er auf der Insel erlebte. …
… Stolz, Ehre und Treue – der Orden des Wachenden Löwen und sein unermütlicher Einsatz für die Insel. …
… Die Kämpfe zum Dunkeltief am Grenzwall, an den Toren Falkensees, in Bergheim und Greifenklipp. …
… Teetrinken mit Athos. …
… Dem Knappen beibringen, dass ein Ritter trinken können muss. …
… Der feige Angriff in Greifenklipp, die Demütigung und die mutige Entschuldigung des Nortraven Halgar. …
… Die nervenzehrenden und letzlich fruchtlosen Debatten des Inselrates. …
… Dem Brandensteiner Volke: das Brandensteinstatut und harte Verhandlungen mit Flaake Distelstein. …
… Ein junger Bursche, gerade im Lehnsbanner vorangekommen, wie er eine Fechtübung in Seeberg vollführt. …
… Der Sieg im Kampf gegen die Sammler, in den Tiefen der Insel. …
… Solos Nhergas. Was Recht ist, muss recht bleiben. Egal für wen, egal von wem. …
… Blutrecht. Der Überfall der Orken auf Falkensee. …
… Untergebene, die man mit forschem Ton zurechtweisen muss. …
… Die Wahl Ritter Caeden Ecanas zwischen Pflicht und Liebe. …
… Der Pfeife rauchende Toran Dur. Und seine nervenzehrende Tochter Akora. …
… Der Klapptisch mit Tee und Gurkenrobaars mitten in der Schlacht gegen die Sammler. …
… Ritter Siegfried und die Frauen. …
… Siebenwinds Teilung in Lehen und Einsetzung der ersten Ritter in ihre Herrschaftsaufgaben. …
… Verhandlungen mit den Zwergen über das Rüstrecht. Der Handelsboykott. …
… Ein ehrenhafter Zweikampf unter Feinden, mitten in der Ödnis. Die Rückgabe von Fedral Lavids Wachhorn. …
… „Ich befehle dir, du fällst nicht zusammen, solange ich hier stehe!“ …
… Frauen in unmöglichsten Kleidern und bewaffnet wie Kriegsfürsten. …
… Das Turnier mit dem überraschenden Ritterschlag. …
… Freiherr Brandner, der Befreier Siebenwinds und das Lehnsbanner, glorreiche Armee Siebenwinds. …
… Der Überfall durch die Königliche Marine und die Schwarze Flotte. …
… Aufstand der Nortraven. Die Kriegserklärungen des Blakkurvald Orla. …
… Frau Morgen! …
… Die Saphierklinge, eine trügerische Waffe und der Streit um den richtigen Weg. …
… Kopfgeld auf den Grafen und der Versuch es einzubringen. Die Hilfe von unerwarteter Seite. …
… Burg Brandenstein und des Grafen Gast, der Nortrave Halvard. …
… Die lange Reise zu sich selbst in der Klause Schattenwacht. Wie ein Licht in Dunkler Nacht. …
… Janniea. …
…
Im nächsten Augenblick setzte sich Hagen wieder in Bewegung tat die letzten Schritte, bis er das Deck des Schiffes erreichte. Fedraal derweil schnupperte schon an der großen Ladeluke, während der Kapitän des Schiffes herantrat, sich artig verneigte und mit „Zum Gruß, euer Gnaden. Hier entlang.“ grüßte. Auf dem Weg zum Deckshaus sah er noch einmal über die dunklen Schemen Brandensteins. Irgendwo dort hinten müsste der Landsitz sein.
‚Lebe wohl, Siebenwind.‘ dachte er sich und folgte dem Kapitän in die Kajüte, in der Johann gewiss schon für eine Tasse Tee und einen Teller Gurkenrobaars hatte sorgen lassen.
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5. Jennaia:
Die Strahlen des ersten Hellzyklus fielen trübe durch die schweren, vorgezogenen Vorhänge des beigen Gästezimmers des Saalhornhofes. Die schweren Leinentücher, die die Möbel vor Staub und Licht schützen sollten, waren wieder